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Kleine Ergänzung zu KLEN’s Schüttelgedanken
von Günter Nehm

1.)    Nicht jeder vollkommene Schüttelreim ist für die Konstruktion eines brauchbaren Schüttelverses geeignet. Es muß schon eine nachvollziehbare Sinngebung hinzukommen. KLEN zeigt dieses am Beispiel ZASTER LEIHT  –  LASTERZEIT unter Anwendung verschiedener Varianten. Diese Betrachtung nehme ich zum Anlaß, mein Schüttelgedicht „Moralische Rechtfertigung“ vorzustellen, in dem das genannte Problem durch den Schüttelreim LASTER ZEIHEN – ZASTER LEIHEN gelöst wird. Das Verb „zeihen“ (beschuldigen) wird im Gegensatz zu „verzeihen“ (entschuldigen) nur noch in der Dichtersprache verwendet. Somit ist es gut bei uns aufgehoben, oder?
 

Moralische Rechtfertigung

Ich bitte, mir Geduld zu schenken,
statt nur an meine Schuld zu denken.
Ich kann doch nicht mit leeren Kassen
zur Zahlung mich bekehren lassen.

Wenn Sie mich stets der Laster zeihen
und mir nicht endlich Zaster leihen,
mit mir nur äußerst mies verkehren –
wie soll sich dann mein Kies vermehren?

Man kann mich stark Gehetzten locker
als Schuldner auf dem letzten Hocker
schon jetzt auf jeder Fete knechten,
muß dauernd um die Knete fechten.

Kaum ist, um meinen Durst zu wecken,
noch mein Bedarf an Wurst zu decken.

(aus: Laura und Leopold liebten sich lüstern, S. 38)


2.)    In KLEN’s Abhandlung wird auf anagrammatische Schüttelreime besonders hingewiesen. Ich meine, daß Schüttelreime und Anagramme so unterschiedliche Dinge sind, daß man zwischen ihnen keine Beziehung herstellen sollte. Der Schüttelreim entsteht durch den gezielten Austausch der Anlaute bestimmter Begriffe oder Silben, der im allgemeinen automatisch die gleichen Buchstaben unter weitgehender Beibehaltung der Reihenfolge nach sich zieht. Abweichungen hiervon, die durch die Eigentümlichkeiten der Rechtschreibregeln entstehen, führen zu keiner hörbaren Wertminderung und sollten deshalb gar nicht herausgestellt werden.
Die folgenden beispielhaft genannten Schüttelreime entsprechen den höchsten Anforderungen, obwohl sie nicht die an ein Anagramm gestellten Bedingungen erfüllen, was ausschließlich den unterschiedlichen Regeln, z.B. hier der Vokalverdoppelung anzulasten ist.
Beispiele für nicht anagrammatische, dennoch reine Schüttler:

Tigersöhne – Siegertöne,
freier Ohren – Eier froren,
Lasten gekehrt – Kasten geleert.
Beispiel für anagrammatischen, trotzdem etwas unreinen Schüttler:
Frost ertragen – Trost erfragen.
Beispiel für a) anagrammatischen, b) nicht anagrammatischen Schüttler durch unterschiedliche Schreibweisen:
a)    Wer liebt, soll geben, wer giebt, soll leben.
b)    Wer liebt, soll geben, wer gibt, soll leben.
3.)    Schüttelverse mit zwei Schüttelreimen
Wie im folgenden gezeigt wird, lassen sich Schüttelverse konstruieren, die ausschließlich aus zwei Schüttelreimen bestehen.:

Schüttelreime

Heiser wandeln Säuferkehlen.
Weiser handeln Käuferseelen.
Sachsen wollen heiße Ware.
Wachsen sollen weiße Haare.
Weise grollen, Kunden wühlen.
Greise wollen Wunden kühlen.
Halte weter deine Richtung,
walte heiter, reine Dichtung!

(aus: Laura und Leopold liebten sich lüstern, S. 34)

Die Konstruktion solcher Schüttelverse, die ganz sicher der Schüttelakrobatik zugerechnet werden kann, wird hiermit angeregt.
 

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