Sonette von Shakespeare, Constable und Petrarca,
geschüttelt von Heitrud und Reiner Scholz
 

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Sonett 55 von William Shakespeare (1564-1616)

Not marble, nor the gilded monument
Of princes, shall outlive this powerful rhyme;
But you shall shine more bright in these contents
Than unswept stone, besmear’d with sluttish time.
When wasteful war shall statues overturn,
And broils root out the work of masonry,
Nor Mars his sword nor war’s quick fire shall burn
The living record of your memory.
‘Gainst death and all oblivious enmity
Shall you pace forth; your praise shall still find room,
Even in the eyes of all posterity
That wear this world out to the ending doom.

So till the judgement that yourself arise,
You live in this, and dwell in lover’s eyes.
 

Übersetzt von Gottlob Regis

Nicht Marmor, nicht das Gold an Königssäulen
Kann überdauern dieses Reimes Macht:
Denn heller strahlst du einst in meinen Zeilen,
Als grauer Stein, den Zeit unkenntlich macht.
Wenn Mauerwerke wilder Rotten Wut,
Standbilder Krieg verderblich wird zerstören,
Soll weder Ares’ Schwert, noch Krieges hurt’ge Glut
Dein lebendes Gedächtnismahl versehren.
Durch Tod, durch neidische Vergessenheit
Dringst du hindurch; dein Ruhm wankt ewig nicht,
Selbst in den Augen aller Folgezeit,
Die diese Welt abnutzt bis zum Gericht.

So, bis du selbst erstehest, lebst du denn
Hier, und in den Augen deiner Liebenden.
 

frei geschüttelt von Reiner Scholz

Nicht Marmor, nicht das Gold an deinen Mauern
Wird überleben dieses Wort-Gedicht.
Sehr lang kann es im allgemeinen dauern
Zukünftig  hat mein Reim auch dort Gewicht.
Wird an Paläste man in der Geschichte denken?
Wie häufig stürzen deren Säulen ein?
Gedächtnis können nur Gedichte schenken
Es wird so lang wie das der Eulen sein!
Der Dichter hat es halt als Reimer leicht
auf ewig wird das, was er aufschrieb, bleiben.
Was er mit Schrift, Papier und Leim erreicht
Er tat das, was ihm letztlich nur blieb: Schreiben.

Schon bald seh’ ich zerfallen deine Mauern,
Doch ewig wird die Liebe (meine!) dauern.
 

noch freier geschüttelt von Heitrud Scholz

Nicht ew’ger Königssäulen Glanz und Schimmer
Kann überdauern diese reine Dichtung.
Denn heller strahlst du einst in Schanz und Glimmer,
Der Reime Kraft verweist in deine Richtung.
Die Mauerwerke sind nur maue Renner
Der Krieg verheeret sie durch Raub und Stuß
Wenn Ares’ Schwert, geführt durch rauhe Männer
Verwandelt Menschenwerk zu Staub und Ruß.
Des Dichters Zeilen aber gammeln selten,
Wenn sie dein lieblich Bild in Reimen kosen.
Nur die, die edle Dichtung sammeln, gelten
Als wahre Menschen. Ihnen keimen Rosen.

Solange Dichter für dich Lieder weben,
wirst heute du und immer wieder leben.

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William Shakespeare: Sonett 18

Shall I compare thee to a summer’s day?
Thou art more lovely and more temperate:
Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer’s lease hath all too short a date:
Sometimes too hot the eye of heaven shines,
And often his gold complexion dimm’d;
And every fair from fair sometime declines,
By chance, or nature’s changing course, untrimm’d;
But thy eternal summer shall not fade,
Nor lose possession of that fair thou ow’st;
Nor shall death brag thou wander’st in his shade,
When in eternal lines to time thou grow’st;
So long as men can breathe, or eyes can see,
So long lives this, and this gives life to thee.
 

Sonett 18 von William Shakespeare, übersetzt von Gottlob Regis

Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?
Anmutiger, gemäßigter bist du.
Des Maies Lieblinge jagt Sturmwind von den Zweigen,
Und nur zu früh gehn Sommers Pforten zu.
Bald scheint zu heiß des Himmels Auge, bald
Umdunkelt sich sein goldner Kreis; es weilet
Das Schöne nie in seiner Wohlgestalt,
Vom Zufall, vom Naturlauf übereilet.
Du aber sollst in ew’gem Sommer blühn,
Nie deiner Schönheit Eigentum veralten;
Nie soll dich Tod in seine Schatten ziehn,
Wenn ew’ge Zeilen dich der Zeit erhalten.
Solange Menschen atmen, Augen sehn,
So lang lebt dies, und heißt dich fortbestehn.
 

Sonett 18, geschüttelt von Heitrud und Reiner Scholz

Laß mich vergleichen Dich dem Sonnentag,
So schön im Wams, das deine Fülle hält.
Nur Kosendes ich deinen Tonnen sag’,
Wenn sommerabends deine Hülle fällt.
Manchmal zu heiß das Himmelsauge scheint,
Oft ist sein Gold nur eine weit’re Hürde;
Hat früher uns der Liebe Schau geeint,
Bringt uns das Alter nur noch heit’re Würde.
Vergiß Vergeh’n, vergiß der Falten Spiel,
Kein ewig Licht auf dich die Lampen richt.
So manches durch der Zeiten Spalten fiel
viel kürzer bleibst du heut’ im Rampenlicht.
Solang den Blick du mir ins Mieder leihst,
Nur solang gelten heute Lieder meist.

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Sonett 130 von William Shakespeare (1564-1616)

My mistress’ eyes are nothing like the sun;
Coral is far more red than lips’ are red;
If snow be white, why then her breasts are dun;
If hairs be wires, black wires grow on her head.
I have seen roses damasked, red and white,
But no such roses see I in her cheeks,
And in some perfumes is there more delight
Than in the breath that from my mistress reeks.
I love to hear her speak, yet well I know
That music has a far more pleasing sound.
I grant I never saw a goddess go;
My mistress when she walks treads on the ground.
And yet, by heaven, I think my love as rare
As any she belied with false compare.
 

Sonett 130 von William Shakespeare, übersetzt von Gottlob Regis

Von Sonn’ ist nichts in meines Liebchens Blicken:
Wenn Schnee weiß, ist ihr Busen graulich gar:
Weit röter glüht Rubin als ihre Lippen:
Wenn Haare Draht sind, hat sie drahtnes Haar.
Damaskusrosen weiß und rot erblickt’ ich
Doch nicht auf Liebchens Wangen solchen Flor:
Und mancher Wohlgeruch ist mehr erquicklich,
Als der aus ihrem Munde geht hervor.
Gern hör’ ich, wenn sie spricht; doch zu gestehen
Bleibt, daß Musik mir weit ein süßrer Gruß.
Zwar keine Göttin hab’ ich schreiten sehen:
Mein Liebchen, wenn es wandelt, geht zu Fuß.
Und doch, gewiß, so hoch beglückt sie mich
Als irgendeine, die man schlecht verglich.
 

geschüttelt von Heitrud und Reiner Scholz

Wenn Liebchens Blick hell wie die Sonne wär’,
Ihr Busen weiß wie Schnee statt gräulich schaute,
nicht strahlen würde ich vor Wonne sehr
Vor Rubinlippen mir abscheulich graute.
Nie wünscht ich mir, sie hätte Rosenlippen,
Nie wollt’ ich gold’ne statt der weißen Haare,
Ihr Busen hängt auf ihren losen Rippen,
Dem Mund entströmt der Qualm der heißen Ware.
Den Fehlvergleich, den will ich rüttelnd scheuchen:
Denn ihre Stimm’ ist nicht Sirenensang;
Kein Göttin-Schreiten kann ich schüttelnd reichen;
Zu Fuß geht sie, nach der mein Sehnen rang.
Doch nur an ihr allein ich hänge sehr
Von ihr kommt Kraft für die Gesänge her.

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Henry Constable (1562-1613): Of his mistress, upon occasion of her walking in a garden

My lady’s presence makes the roses red,
Because her lips they blush for shame:
The lily’s leaves, for envy, pale became,
And her white hands in them this envy bred.
The marigold abroad her leaves doth spread,
Because the sun’s and her power is the same;
The violet of purple colour came,
Dyed with the blood she made my heart to shed.
In brief, all flowers from her their virtue take:
From her sweet breath their sweet smells do proceed,
The living heat which her eye-beams do make
Warmeth the ground, and quickeneth the seed.
The rain wherewith she watered these flowers
Falls from my eyes, which she dissolves in showers.
 

Henry Constable: Über seine Geliebte anläßlich der Gelegenheit ihres Wandelns in einem Garten (ohne Reime) übersetzt von Heitrud und Reiner Scholz

Der Liebsten Dasein macht erst Rosen rot,
Weil ihre Lippen sie vor Scham erröten lassen.
Der Lilien Blüten werden blaß vor Neid,
Erregt durch ihrer zarten Hände Weiß.
Die Ringelblume breitet Blüten aus,
weil Liebchens Kraft der Kraft der Sonne gleicht.
Des Veilchens Farbe purpur nur entstand
Aus Blut, das meinem Herz für sie entfloß.
Von ihr die Blumen ihre Tugend nehmen,
Von ihrem Atem kommen deren süße Düfte.
Lebend’ge Glut aus ihrer Augen Strahl
erwärmt die Erd’ und treibt der Pflanzen Wuchs.
Der Regen, mit dem sie die Blumen gießt,
entstammet meiner Augen Tränenschauer.
 

geschüttelt von Heitrud und Reiner Scholz

Mein Liebchen färbt der Rosen Lippen rot,
die ganz bescheiden bläßlich etwas blühten;
der Liebe Glut in meinen Rippen loht,
derweil die Lilien vor Zorn blaß wüten.
Calendula von ihr nur Säfte kriegen
Sie blüh’n nicht nur allein der Sonne wegen.
Durch sie der Veilchen Blütenkräfte siegen,
Ihr Blut bringt ihnen voller Wonne Segen,
Aus ihrem Mund sich Duftes Flut ergießt,
Erweckt allüberall der Blüten Glück,
Aus ihrem Aug’ ein Strahl, ein guter, fließt,
Erwärmt die Erde durch erglühten Blick.
Das Blumenwasser ihre Lippen näßt,
An denen sie mich niemals nippen läßt.

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Petrarca:  L’ALTO E NOVO MIRACOL CH’ A’ DI NOSTRI, übersetzt von Franz Spunda.

Seit dem wir hier auf dieser Erde wallen
Ziemt uns, ein einziges Wunderbild zu minnen,
Doch kaum gesehen, ging es schon von hinnen
Um hoch zu schmücken dort die Himmelshallen.

Frau Minne will, daß ich es male allen,
Die es nicht sahn. Mit allen meinen Sinnen
Will ich es oft beherzt und kühn beginnen,
Doch ist die Feder stets der Hand entfallen.

Noch fehlt dem Liede der Begeisterung Glut,
Glimmt‘s auch in mir; und dieses kennt ein jeder,
Der je erfuhr der Liebe süßes Weben.

Wer je geschöpft der Wahrheit klare Flut,
Der weiß, daß sie zu hoch für jede Feder
Und spreche: „Heil dem, der sie sah im Leben.“
 

Geschüttelt von Reiner Scholz:

Solange wie wir hier auf Erden wallen,
Ist unser höchstes Ziel, um sie zu minnen,
Nach ihrem Innern mit Chemie zu sinnen,
Daß ihre Schätze nutzen werden allen.

Doch wird das Glück auf uns’re Erde fallen?
Kann man die Zukunft denn noch rein gewinnen?
Wird nicht zu Essig unser Wein gerinnen,
Wenn unser Tun wird zur Gefährde allen?

Zwar sagt man oft: Was lange währt, wird gut.
Doch seht nur hin: Sein Messer wetzt schon jeder!
Unüberhörbar grollt ganz laut das Beben.

Doch heißt‘s nicht auch: Was lange gärt, wird Wut?
Und eines wissen wir doch jetzt schon: Weder
hilft Angst noch Furcht. Es gilt: Jetzt baut das Leben!

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