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Frühe Schüttelreime
Fliegende Blätter
Ulk
Jugend
Berliner Illustrirte Zeitung
Muttersprache

Harun Dolfs
Erich Mühsam

   

Schüttelreime aus der „Berliner Illustrirten Zeitung“
 

Die Berliner Illustrirte Zeitung wurde als illustrierte Wochenzeitschrift 1892 gegründet und erschien ab 1894 im Ullstein-Verlag. 1945 wurde sie eingestellt.
Die in dieser Zeitung erschienenen Schüttelreime aus den Jahren 1923 bis 1932 unterscheiden sich insofern von den Reimen in den bisher genannten Periodica, als alle Schüttelreime aus diesen Jahren von einem einzigen Autor stammen - von Curt Peiser, der sich seit Mitte 1924 „Tom der Schüttelreimer“ nannte. Manfred Hanke ist in seinem Werk „Die Schüttelreimer“, Stuttgart 1968, S. 43-45 ausführlich auf Peiser eingegangen. Aus Hanke sei zitiert: 
„ … In der Berliner Illustrirten wurde ein neuer Weg eingeschlagen. Die Reime, die bald immer an der gleichen Stelle in der Mitte des Blattes abgedruckt wurden, hatten nur einen Verfasser. Eine Abbildung dieses Poeten, von Paul Simmel als Vignette beigesteuert, sah beinahe wie ein Markenzeichen aus. Tatsächlich hatte es mit Werbereimen für Ullsteins billige Romane begonnen; jede Woche war anfangs ein neuer simpler Zweizeiler erschienen.
Dieser „Tom der Schüttelreimer“ war der Breslauer Kaufmann Curt Peiser vom Jahrgang 1877, ein vielseitig begabter, sprachverspielter Mann, der uns auch einige der besten deutschen Limericks schenkte, die „Tante aus Tehuantepec“ in der frühesten Fassung zum Beispiel. Manch Aufgezeichnetes von ihm ist überkommen, seine Schüttelreime sind es, als Sammlung zumindest, nicht. … Peisers Lebensschicksal steht nirgendwo verzeichnet; er mußte als verschollen gelten. Doch brachten zwei Hinweise auf verwandtschaftliche Beziehungen innerhalb der Zunft (welche nicht einmal ganz selten sind) den Chronisten auf eine Spur. Peiser war, wie seine kaum älteren Zunftgenossen und Landsleute Skutsch und Gradenwitz, Jude; sein Auskommen bezog er aus einem Großhandel mit Büroartikeln in Breslau. Jahrelang hatte Peiser alle Warnungen der Freunde in den Wind geschlagen; der in literarischen Zirkeln hochangesehene Mann hielt sich für ungefährdet, obgleich er schon seit 1932 geschäftlich boykottiert wurde. Sein Hauptlieferant saß im thüringischen Zella-Mehlis, wo die Nationalsozialisten damals bereits das Heft in der Hand hatten. Er mußte verstummen und wurde schließlich ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht. In letzter Minute gelang es bürgenden Freunden doch noch, eine Auswanderung einzuleiten. 1939 zog der herzkranke Mann über die Schweiz und Italien nach Indien. Er starb in Bombay am 10. März 1942.“
In dieser Sammlung kann nun – neben anderem – auch Peisers Schüttelreim-Werk aus der Berliner Illustrirten Zeitung gesammelt vorgestellt werden. Es finden sich – nach den Ullstein-Reklame-Versen – schon einige gelungene längere Schüttelreimgedichte (zum Jahreswechsel 1923/24, zur Bühnenkunde, zu Kuren), bis Peiser Mitte 1924 mit der „Ersten Flugzeugfahrt“ seinen Rhythmus als „Tom der Schüttelreimer“ findet. Zu allen möglichen Themen (Boxen, Schach, Musik, Familienbad, Damenmoden, Frühling, Reise, Zoobesuch, Herrenfahrer, Ferien) gelingen ihm ausgefeilte Gedichte. Sein Schema lautet immer wieder aabccb, wobei a und c Schüttelreime sind, b normale Reime; diesen unverwechselbaren Takt – der ins Ohr geht – hält Peiser über mehrere Jahre durch, eine Leistung für sich. Daß ihm auch Doppelschüttelreime gelungen sind, zeigen die drei Beispiele am Ende. 

(Anmerkung: Die Schüttelreime bis 1927 sind durch Autopsie überprüft; die Reime mit der Quellenangabe 1928-1932 stammen aus Nachschriften von Frau Sita Steen, der ich für die Überlassung herzlich danke.)

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Schüttelreime aus Italien
Italien zum Vergleich mit Stiebeln zwingt,
Obwohl es eher hier nach Zwiebeln stinkt.

Hier, wo die Wellen an Venedig lecken,
Kann man die Mädchen – wenn sie ledig – necken.

Ihr habt vielleicht bei euch in Risa Putsch,
Dieweil ich hier vergnügt nach Pisa rutsch.

Man sieht hier manchmal fremde Schieber toben,
Die Waren bis nach Rom am Tiber schoben.

Ich halte nichts von diesem Capri! Pah,
Der Landschaft hier fehlt Salz und Paprika.

Gern ruhe ich an dieser Quelle Palmen,
Seh des Vesuves heiße Pelle qualmen.
1923, S. 414

Ein Maß doppelt-geschüttelter Ratschläge für die Sommerfrische
Gepäck
Laß deinen Schirm nur in der Lade fein;
du würdest bloß die Leute stören gehen,
und wenig Schutz wird er dem Pfade leihn:
denn sicher läßt du ihn in Göhren stehn!
Berg und Tal
Geh nicht den Berg hinauf, wo Blätter nicken,
denn du lädierst dir dort die teuern Schuhe!
Ich kann von unten doch viel netter blicken,
wobei ich nicht die Füße scheuern tue.
Kostümzwang
Zum Kraxeln zwischen Heckenrosen
nimm nie den Frack nebst hellen Socken:
wo wandernde Gesellen hocken,
trägt man von Leder – Reckenhosen!
Baderegel
Willst du den Schwimmsport, den barocken, treiben,
indem du dich auf feuchten Stellen wiegst,
so mußt du stets, wenn du aus Wellen stiegst,
dir deine Oberschenkel trocken reiben!
1923, S. 474

Ullstein-Reklame-Schüttelreime
An die Gattin
Du mopst dich täglich bei dem Regenwetter?
Ein „Ullstein-Buch“ ist allerwegen Retter!
1923, S. 572

Dr. Mabuse
Mabuse wär’ ein größres Licht gewesen,
hätt’ Ullsteinbücher dieser Wicht gelesen.
1923, S. 592

Das Wichtigste
Das Ullsteinbuch – so sagt der Weise richtig -
ist wie zu Haus auch auf der Reise wichtig!
1923, S. 612

Die unmoderne Tante
Du zählst noch immer, liebes Tantel, Maschen?
hast du kein Ullsteinbuch in Manteltaschen?
1923, S. 637

Zeitvertreib
Wenn in den Laden keine Kunden stürzen,
muß mir ein Ullsteinbuch die Stunden kürzen.
1923, S. 657

Der Blasierte
Dir scheint kein einz’ges Buch mehr lesenswert?
Das Ullsteinbuch dich andren Wesens lehrt,
drum rat ich sorglich: keine Schwüre, Tor!
Es bricht sie, wer auf die Lektüre schwor!
1923, S. 680

Der Misanthrop
Nach Ullsteinbüchern selbst der Weltfeind girrt,
Wenn ihm gezeigt das Buch „Der Geldfeind“ wird.
1923, S.700
 

Das alte und das neue Jahr in Schüttelreimen
Das alte Jahr war eine kesse Nummer,
Es machte uns nicht nur durch Nässe Kummer,
Es war auch sonst in jeder Weise roh,
Sei es daheim, sei’s auf der Reise wo –

Man ließ uns tief in Schuld und Fehle tunken,
Ermahnte uns durch Draht und Telefunken;
Sogar durch Presse und durch Telephon
Erklärte man: Den Deutschen fehle Ton!

Tat an die Gelder man auch Nullen stecken:
Uns konnten kaum belegte Stullen necken!
Wollt’ man Kartoffeln oder Sellerie,
Kauft’ man gemalt im Aquarelle sie!

Wer kann sich noch das Fell von Hasen rupfen,
Die so possierlich über’n Rasen hupfen?
Ich freu’ mich schon, wenn du, o Himmel, schenkst
Mir ein Filet-Ragout vom Schimmelhengst.

Das neue Jahr liegt noch im Windelkissen;
Man kann nicht viel von solchem Kindel wissen,
Doch wenn das „Heut“ auch viele Sorgen macht
Es kommt vielleicht ein schönes „Morgen“ sacht.

Vielleicht, daß bill’ge Preise nunmehr harren,
Daß künftig nicht uns wird das Huhn mehr narren,
Und heute schon es meine Leier ehrt,
Falls es uns preiswert seine Eier leert.

Wenn so die Preise allerwegen sinken,
Dann wird in diesem Jahr der Segen winken:
Was es in uns als zarte Triebe legt,
Zur Erntezeit als Frucht – die Liebe trägt!
1924, S. 74
 

Hinter der Kulisse
(Eine schüttelfrostige Betrachtung)
Die Technik aller Bühnenkunde
erlernt man hinter Rampen leicht,
und sie umfaßt im kühnen Bunde
was vorn bis zu den Lampen reicht.

Man braucht in Momus’1  losen Reichen
wo man recht viel zu geben liebt:
Kostüme, Wolken, Rosen, Leichen,
kurz: was es nur im Leben gibt!

In Opern muß man Schwäne zeigen,
dieweil der Held im Kahne fährt;
die Zungen, Lippen, Zähne schweigen,
wenn fort sich das Profane kehrt.

Brünhilde wird ‘ne Rüstung brauchen,
die Busen ihr und Hüften klemmt
der Schwefel muß zur Brüstung rauchen,
wenn Feuer sie in Klüften hemmt.

Kommt Siegfried an als Schmiedemeister,
braucht er ‘nen Zwerg und Funkenlicht.
(Ihn aus der Pyramide schmeißt er,
wenn er mit den Halunken ficht.)
Die Nixen in der Rheingold-Feste,
die hebt und senkt ein Wasserkran;
doch suchte heut man Feingold-Reste
im Flusse, wär’s ein krasser Wahn!

Mit einem trüben Sohlenhänger
von Schuh Hans Sachs beim Brüten winkt,
weil er mit ihm den hohlen Sänger
nachher geschickt zum Wüten bringt.

Der Falstaff wird ‘nen Bauch erstreben,
kommt er zum Mahl als feister Gast;
im Freischütz muß ein Strauch erbeben,
wenn ihn des Teufels Geist erfaßt.

Was fehlt, das muß sich pumpen lassen,
verlangt’s des Dichters Tintenhand,
und sieh: die ärgsten Lumpen passen!
Was vorne glänzt, ist hinten Tand!
1924, S. 194
1 Momus (Momos), Begriff aus der griechischen Theaterlehre für Kritik, Tadel, Satire.
 

Schüttelkur
ein Notschrei aus dem Sanatorium

Willst du dir Hals und Wade bessern,
versuch’ es mal mit Badewässern

Du mußt im Bad, im kohlensauern,
vom Kopf bis zu den Sohlen kauern
(dort machen dich die Bläschen niesen,
weil hoch sie bis zum Näschen bliesen);
dann läßt in zwanzig Ringer-Phasen
noch der Masseur die Finger rasen!
Kaum darfst du ab den Kragen machen,
fühlst du schon Brust und Magen krachen – 
willst du ihn beim Probieren necken,
dann haut er dir aufs Nierenbecken,
und deines Fettes Schlacken nagen
die Hände ab durch Nackenschlagen.

Mußt du vor Schmerz und Wehe zittern,
wird Gicht er in der Zehe wittern
und dir durch Zwicken, Pochen, Knicken
das Mark aus deinen Knochen picken!

Kannst du nicht mehr den Finger rühren,
wird dich ans Bad der Ringer führen,
die Runzeln vom Gesichte fegen,
dann als Extrakt der Fichte Segen
einschütten dir aus braunen Tüten – 
drin darfst du wie auf Daunen brüten!

Doch sieh, was dort so graulicht blinzt!
Der Zuber mit dem Blaulicht grinst,
drin rücklings oder bäuchlings meist
dich Glut und Hitze meuchlings beißt.

Und will sich nicht das Leiden heben,
beginnt für dich ein Heidenleben:
was dir als gut und nahrhaft wichtig,
bezeichnet man als wahrhaft nichtig!
Erst gab man dir als Köder Schnitzel,
jetzt gilt das bald als schnöder Kitzel – 
man will dich zu Gemüsen drängen,
daß Säfte sich in Drüsen mengen,
und roh dich an ein Futter binden,
drin keine Zungen Butter finden,
so daß – reicht man die Nota jetzt –
die Träne dich kein Jota netzt!

Doch schimpfst du auch gleich Spatzen keck,
verlierst du doch den Katzenspeck,
und freudig die Familie lacht,
wenn dich die Kur zur Lilie macht.
1924, S. 628/630
 

Zur Ferienreise
Reiseziel
Ob meine Sehnsucht Wald, ob Welle stillt:
Kaum weiß ich selbst, wie sich mein Wille stellt;
Nur aus der Stadt, wo jede Stelle wild,
Zieht mich’s hinaus in eine stille Welt!
1924, S. 726
 

Tom, der Schüttelreimer
Erste Flugzeufahrt
Wer Zutrau’n dem Piloten schenkt,
Auch wenn der in Schoten lenkt,
Dem schmeckt ein Flug wie Honig;
Man klettert in die Höhen bald
Und macht nicht mal vor Böen halt,
Man kann’s ja sowieso nich! –

Der Himmel war von Wettern klar,
Als ich bereit zu Klettern war,
Und alles scheint recht mollig:
Von Blatt und Blüte blicket Tau,
Ich kaufe mir ein Ticket blau
Und frag’ mich nochmals: Soll ich?

Als vorn der Mann die Schaltung hob,
Ich gleich blasiert in Haltung schob,
Recht kühl wie „in a snob way“.
Schlägt dir das Herz im Kragen mang,
Dann wirst du nämlich magenkrank
Und leidest schwer an Koppweh!)

Ein Donnern aus der Stille brach,
Und knatternd durch die Brille stach
Mich des Propellers Drehgang;
Vorn von des Aethers Riesenwand
Fiel langsam ab der Wiesenrand
In leicht bewegtem Seegang.

Den Wald sah ich zur Seite weh’n,
Konnt’ in des Landes Weite seh’n – 
Das dehnt sich gleich der Pußta;
Von oben her die Sonne winkt,
Wobei man schnell in Wonne sinkt,
Und schon ist der Genuß da!
1924, S. 1262
 

Boxkampf
Der Torheit man die Leitung zeiht,
die gern nicht ihre Zeitung leiht,
dem Boxkampf, weil das Geld macht;
das Boxen bringt zu Kräften sacht,
daß jedes Glied von Säften kracht,
es wächst sich aus zur Weltmacht.

Wie wirkt solch edler Ringer fein,
steckt er die zarten Finger ‘rein
ins Futteral von Bockhaut;
dann stürzt er auf den Gegner wild,
der als noch viel verwegner gilt,
und schlägt ihn freundlich knock-out.

Falls „tiefen Schlag“ der Geber liebt,
es dafür ja die Leber gibt – 
so legt man Kämpfer reihweis!
Wenn er noch nach dem „Haken“ lebt,
man sorglich ihn aufs Laken hebt,
stärkt ihn mit Wein und Eiweiß.

Das Publikum vom Sitze winkt;
wie nach ‘nem guten Witze sinkt
bei jedem Schlag in Lust es,
bis einer von den Recken steif
am Boden liegt, zum Stecken reif
ins Bett des Herrn Prokrustes.

Doch niemand von der Stelle weicht,
und der Begeist’rung Welle steigt,
bis zwölf Uhr zeigt die Wanduhr –
Einst durft’ man nur die Bräute hau’n,
jetzt schlägt man  s i c h  die Häute braun –
Ja: tempora mutantur.
1924, S. 1456/1458
 

Schachmeisterschaft 2
Das Schachspiel, das vom Brette winkt,
uns Freuden um die Wette bringt:
man kommt sich dran als Herr vor!
Dem einen beut das Schieben Lohn,
und and’re wieder lieben schon
den Kampf um Burg und Sperrfort.

Man schiebt mit raschem Finger dort
die hübsch geschnitzten Dinger fort,
indem man klug den Stein lenkt;
doch als der größte Meister gilt,
wer seines Heeres Geister mild
nach Kampf zum Siege einlenkt.

Das schönste Spiel uns Lasker bot,
der feurig wie ein Basker loht,
ihm lacht der Menge Beifall;
spielt nicht der Meister Rubinstein
so sauber und so stubinrein,
daß man in Schwärmerei fall’?

Am Schachbrett auch der Sämisch hängt
und alle Gegner hämisch senkt
er in den Grund – wie Rheinlachs!
Stets rang der wack’re Spielmann zäh,
wie zu des Sieges Ziel man späh’,
spielt er auch mal zum Schein lax.

Man staunt, wie sich der Reti plagt
der über Krethi-Plethi ragt
wie übers Haus der Luftschacht:
Wenn er durchs Brett den Springer zwängt
und seines Feindes Zwinger sprengt,
vergnügt sogar der Schuft lacht!

Ein jeder auf der Lauer bebt,
wie lang ihm Turm und Bauer lebt,
kühn kämpft er wie die Rothaut;
bis vis-à-vis der starke Held
ihm zeigt, wie man ‘ne Harke stellt
und auf dem Brett ihn tothaut!
1925, S. 206
2 In diesem Schachgedicht gelingt es Peiser, außer dem Namen des Schachweltmeisters von 1894-1921, Emanuel Lasker (1868-1941), die Namen von vier weiteren damals bekannten Schachspielern einzubauen: Akiba Rubinstein(1882-1961), Friedrich Sämisch (1896-1975), Rudolf Spielmann (1884-1942) und Richard Réti (1889-1929).
 

Macht der Musik
Geh nicht mehr in die Oper, Sohn!
Es kostet zwölf Mark pro Person – 
(Das pumpt dir heut kein Bankhaus)
Dort werden sünd’ge Triebe laut:
Meist fällt ein Paar in Liebe traut
Und bricht dann in Gesang aus!

Wenn Wohlklang aus den Schello taut,
Sieht man erschreckt: Othello schaut
Aufs Bett mit wildem Vorsatz;
Wenn alles mal aufs Härchen paßt
und Freude du am Pärchen hast
– bums! – trennt sie schon der Chorsatz!

Drum tu’ ich euch mit Kennermund, 
Ihr Frauen und ihr Männer, kund,
Falls euch vergnügt der Schall macht:
Sucht im Konzertsaal Ohrenschmaus,
Denn alle Lüste schmoren aus
Bei reiner Töne Allmacht.

Ein Wiegenlied von Mozart sacht
Des Hörers Seele so zart macht,
Als ginge selbst zur Ruh’ man;
Ihm wird bei Brahms und Weber leicht,
Der Druck auf Herz und Leber weicht
Bei Mendelssohn und Schumann.

Ob dich noch sonst ein Leiden härm’,
Es fleucht beim Haydn-Heiden-Lärm,
Als ob ihm davor grause –
(Du kommst, gefüllt mit Honigseim
der Seele, sowieso nich’ heim,
Wenn du ein Kunstbanause!)

Wenn dir der Tag auch Nöte flicht:
Nimmt bei dem Klang der Flöte nicht
Der Tanz der Sorgen Reißaus?
Des Lebens allzu schriller Ton,
Tritt nicht beim ersten Triller schon
Er aus des Denkens Kreis aus?

Ein Festton, ein getragner, winkt,
Wenn’s Ohr den Marsch von Wagner trinkt,
andante bald, bald presto;
Ein jedes Antlitz helle schaut,
Wenn wild der Mann die Schelle haut – – 
Je mehr Klamauk, je desto!
1925, S. 432
 

Familienbad
Steh’n deine Immobilien matt,
geh’ schleunigst ins Familienbad
und schwimm vergnügt im See ‘rum!
Der Sparer wie der Prasser weist
aufs Bad, weil man das Wasser preist
als aller Leiden Serum.

Wer einmal nur beim Baden war,
– sei er auch stolzer Waden bar –
sehnt sich nach nassem Zustand,
bis sich erfüllt sein krasser Wahn
und er mit jedem Wasserkran
vertraut auf du und du stand.

Selbst wer für strenge Normen ficht
den stören freie Formen nicht,
vergnügt er sich im Wannsee;
er macht dort allen Nixen Kur –
die Zaubertöne kicksen nur,
wenn ich ihn strafend anseh’.

Was Bubikopf und Locken trägt,
am Ufer gern sich trocken legt,
sei’s Uschi, Margot, Lisbeth;
sie geben sich als Wiesel kund,
und drückt sie auch manch Kiesel wund,
scheint’s doch ein Paradiesbett.

Wenn Dämmer sich ins Helle webt,
und wenn sich aus der Welle hebt
der Mond, von jedem Glanz bar:
vom Ufer man die Tugend jagt,
doch lebensfroh die Jugend tagt
noch lange in der Tanzbar!
1925, S. 973
 

Damenmoden
Wo nehm’ ich Kraft her, wo den Mut,
will ich die heut’ge Modenwut
euch schildern klar und plastisch? –
Geschmack ist jetzt bei Damen rar,
sie bieten nur den Rahmen dar
für alles, was phantastisch!

Was mollig ist, man nimmer schätzt!
Das Auge feuchter Schimmer netzt,
geht’s suchend in der Irre. –
Weil man das Schlanke netter fand,
schwand alles, was man „fetter“ nannt:
es kam – die „große Dürre“!

Das Haar nicht mehr in Locken fliegt;
in festgepappten Flocken liegt
der Restbestand am Schädel.
Auf ihm thront heut kein Hütchen mehr - 
Wo nehmen sie ihr Mütchen her
zu solchem Tun, die Mädel?

Den Rock ein Gurt von Leder faßt,
der leicht wie eine Federlast
bei jedem Schritt muß wippen;
man trägt in diesem losen Dings
die kleinen Puderdosen (links)
sowie den Stift für Lippen.

Es trippeln warm in Pelzen Stars
auf Stöckeln eines Stelzenpaars
gleich Säulen, fast gestaltlos:
hell leuchtet ihrer Strümpfe Tand – – 
Wer hält dem Reiz der Trümpfe stand?
Wer wird dabei nicht haltlos?
1925, S. 1508
 

Frühlings Erwachen
Der Lenz gefiel dem Dichter längst,
wobei du gleich an Lichter denkst
wie Goethe, Storm und Wieland –
ihr leichter Flügelschimmel hob
sie auf, und durch den Himmel schob
er sie ins Poesieland! –

Noch pflanzt sich an der Väter Ort
die Sonne durch den Aether fort,
noch gibt es helle Blusen;
ans Licht sich noch die Sprosse ringt,
und auf dem Flügelrosse springt
noch heut der Sohn der Musen.

Wer sonst am Tag nur Gelder fing:
Wenn er durch junge Felder ging,
vergißt er alle Pflichten!
Was in dem Nest die Amsel macht,
darauf gibt jede Mamsell acht
uns sucht es nachzudichten.

Durch Teich und Pfützen strolchen Max
und Moritz, um den Molchen stracks
das Leben zu verbittern;
wo irgendwas zu purzeln war
– Und sei’s auch nur ein Wurzelnpaar – 
sieht man sie abwärts schlittern.

Auch durch der Kleinsten Kindermund
tut sich der Lenz nicht minder kund
im Jubeln, Springen, Lachen:
Man sieht bei der famosen Hatz
den allerkleinsten Hosenmatz
die größten Sprünge machen.

Daß man dem Lärm nur leise wehrt,
seit jeher schon der Weise lehrt;
die Nachsicht wird hier Tugend, –
Denn was auf Flur und Wegen singt,
wird das, wovon uns Segen winkt:
der Lenz – – das ist die Jugend!
1926, S. 534
 

Reiseziele
Schon lockt uns holder Feriensang -
Schon geht die Bahn auf Serienfang
im Westen wie im Osten;
mach’ dich vom letzten Hemde frei:
jetzt geht es in die Fremde hei!
Das darf schon etwas kosten!

Dich reizt Italiens Küste lind?
Geh, spar’ dir solche Lüste, Kind,
Bis fort der Börse Tiefstand;
an der Riviera Märchenhang
fand ich so manches Härchen mang,
wenn beim Roulette ich schief stand.

Ob ich das Glück in Tegel such’,
ob flatternd mich das Segeltuch
entführt nach sel’gen Weiten;
ich fliehe aus der Tage Fron
und rufe laut im Frageton:
Wen drängt’s, mich zu begleiten?

Hell glänzt der Gletscher Faltenspiel,
doch da man leicht in Spalten fiel,
scheint mir der Sport gefährlich.
Ich muß gesteh’n: mein Hünengrab
ich lieber einst im Grünen hab’ – –
bei sowas bin ich ehrlich!

Schnell seh’ ich mich im Sonnenbad
an Kindern und an Bonnen satt,
das scheint mir nicht das Rechte!
Ich klettre, wie’s die Gemse tut,
auch kreuzt sich’s auf der Themse gut
beim Segelboot-Gefechte.

Mich lassen Sturm und Güsse kalt!
Die Glut der Musenküsse galt
ja stets der holden Ferne;
wenn meine ganze Barschaft hin
und braun ich bis zum Haarschaft bin,
dann kehr’ zurück ich gerne!
1926, S. 886
 

Schiffsreise nach Portugal
Jetzt folg’ ich der Kastanien-Spur
und gehe auf die Spanien-Tour,
Begleitet von den Musen;
Der Dampfer fährt – so’n Riesendings -
(Zuerst besah ich diesen rings)
Durch den Biscaya-Busen.

Wenn man zuerst auch Witze reißt:
Am Horizont die Ritze weist
Auf Sturm! Zur Bordwand tänzl’ ich – –
Von vorn die erste Welle zischt,
Der Stewart schon die Zelle wischt,
Jetzt wird es etwas brenzlich!

Tief in die Flut der Dampfer sticht
Und Stampfer folgt auf Stampfer dicht,
Die Folgen sind nicht fraglich;
Nur wer sich nicht ums Gaukeln schert,
Wem nichts im Leib beim Schaukeln gärt,
Der fühlt sich ganz behaglich.

Wenn sanfter dann die Schraube glitt,
Zurück ins Herz der Glaube schritt
An Menschheit, Glück und Nachtmahl;
Die Wölkchen sich im Sinken blähn,
Das Mondbild kann man blinken sehn
Auf jeder Welle achtmal!

Was Jüngling, Greis und Backfisch heißt,
Auf Fleisch, Konfekt und Hackfleisch beißt,
Bis Portugal erschienen;
Schmerzt dann der Zahn in Lissabon,
Geh dort in den Gebiß-Salon – –
Man wird dich gut bedienen.
1926, S. 1492
 

Reise nach Spanien. Stiergefecht in Madrid
In Deutschland ist’s gemütlich sehr!
In Spanien denkt man südlich mehr
Und pfeift auf Skat und Kegel;
Zum Stierkampf es die Masse reißt,
Denn sowas liebt die Rasse meist,
Das ist bei ihr die Regel.

Zwar scheint der Stier beklagenswert,
Jedoch den Mut des Wagens klärt
Der Kampf mit seinen Tücken,
Drum kommt es, daß die Kassen blühn,
Sieht man ins Herz von blassen Küh’n
Die Hand den Degen zücken.

Horch, wie es auf den Stufen raunt!
Der Fremde bei den Rufen staunt,
Die rings die Luft durchzischen;
Und leise sich der Schauer mehrt,
Wenn einer sich zur Mauer schert,
Dem Hornstoß zu entwischen.

Der holden Dame Schleier facht
Den Mut zu solcher Feierschlacht
Beim Matador zur Hitze;
Ihm ist so manche Carmen wert,
Die ihren Blick, den warmen, kehrt
Auf ihn vom hohen Sitze.
1926, S. 1532
 

Besuch im Zoo
Geh oft mit deinen Kindern, Mann,
– wenn’s auch die Barschaft mindern kann –
am Sonntag in den Zoo raus;
es macht der Lärm der kleinen Schar
dir schon vor dem Erscheinen klar:
sie freut sich drauf im voraus!

Mit Beben und mit Zittern guckt
man hin, wie’s hinter Gittern zuckt
von Köpfen, Leibern, Schwänzen.
Wie etwas sich nicht deuten ließ,
dann muß vor allen Leuten dies
der Vater laut ergänzen.

Am Baumstamm hockt der Geier faßt
wie ein gelad’ner Feiergast
voll würdig ernster Glossen;
dagegen schwankt das Warzenschwein
als hätte es vom schwarzen Wein
bereits zuviel genossen!

Der Panther sich die Pranken schlägt;
auf seinem Leib, dem schlanken, prägt
sich deutlich jede Rippe. –
Frau Petz boxt ihren Gatten meist:
sie tadelt seinen matten Geist
als richtige Xantippe.

Den Affen ihr in Scharen habt! –
Wenn er sich in den Haaren schabt,
dann scheint er euch ergötzlich,
doch wenn er euch beim Kosen haut
und Löcher in die Hosen kaut,
dann flieht ihr etwas plötzlich!

Vom Lama, das in Lumpen hockt,
es schließlich euch zum Humpen lockt,
da geht kein Magen leer aus. –
„Hör’, Ella, wie das Käuzchen schnurrt!“
„Wisch dir dein nasses Schnäuzchen, Kurt!“
Und dann geht’s heim im Kehraus!
1927, S. 1176
 

Ferien
Soll froh die Zeit der Ferien sein,
gruppiert man sich in Serien fein
und flüchtet an den Busen,
den uns Natur, ihr biedern Leut’,
in Prosa und in Liedern beut
laut Versbericht der Musen.

Das Geld steigt aus der Taschen Hut,
auf daß man mit ihm haschen tut
ein Zimmer, was es schwer gibt.
Wer will es gleich als Laster zeih’n,
wenn wir dazu den Zaster leih’n,
sofern ihn einer hergibt.

Wenn dann der Regen leise rauscht - 
je nun, auf solcher Reise lauscht
man gern – weil das beschäftigt.
Ist sowas gleich zum Rasen, nein,
man zieht in Mund und Nasen rein
die Landschaft, welche kräftigt.

Ein Wasserfall die Stelle würzt,
da Welle sich auf Welle stürzt
im Land, wo Berge ragen.
In mir wird Lust zum Wannsee, ach,
wenn ich die Stelle anseh, wach.
Doch hat das nichts zu sagen.

Man kann den lahmen Schimmel hau’n,
kann dankbar in den Himmel schau’n
und kann in Ruhe futtern.
Dann darf man nach der Wochen Pein
der Lust des Herzens Pochen weih’n.
Schön ist’s daheim bei Muttern!
(Zwischen 1928 und 1932)
 

Herrenfahrer
Wie sich der Most im Fasse klärt,
so fühlst als Mensch, der klasse fährt,
Du dich nach kurzer Lehrzeit.
Wenn du dich nicht voll Feuer stellst
und ab und zu vom Steuer fällst,
dann brauchst du freilich mehr Zeit.

Erreichst du gleich den Brocken nicht,
weil unterwegs ein Nocken bricht,
gerat’ nicht in Empörung.
Wenn auch der Wagen gichtig ruckt,
sobald dein Auge richtig guckt,
entdeckst du schon die Störung.

Wenn Stoff sich vor der Zündung mischt
und Vollgas aus der Mündung zischt,
dann scheint das Leben Honig.
Macht dir von links ein Rudel Pein
und läuft dir rechts ein Pudel rein,
Schuld trägst du sowieso nich’.

Und rutsch dir mal ein Reifen vor,
Prob’ nicht, ob mit dem Pfeifenrohr
die Wulst du dann entferntest.
Mach auch die Hühner gackern rings,
denn viel zu gut den Rackern gings,
bevor du auteln lerntest.

Doch wenn man deine Nummer kennt
und sie voll Sorg und Kummer nennt,
dann naht ein Schupo schließlich.
Er brüllt, den Bauch dir piekend: „Was,
heraus mit ihrem Weekendpass!“
und das ist nicht ersprießlich.
(Zwischen 1928 und 1932)
 

Ferienreise
Dir beut Natur den Busen, Mann,
begib dich in der Musen Bann
und laß Geschäft Geschäft sein.
Du darfst jetzt mal vom Tanzen ruh’n,
darfst Laune in den Ranzen tun
und ein fideles Heft sein.

Es lockt ein jeder Distelfink
mit seinem feinen Fistelding
dich hin zu sonn’gen Ländern.
Und wenn der Ruf nach Barschaft hallt,
wirst grau du bis zum Haarschaft bald.
Doch das ist nicht zu ändern.

Ob Sonne auf den Wegen ruht,
ob prasselnd sich die Regenwut
entlädt in wildem Gusse,
Für jedes Wetter danken wir,
du bist – es hilft kein Wanken dir – 
verpflichtet zum Genusse.

Erst wird dir, gleich dem Zwerge, bang.
Dann spürst du froh der Berge Zwang.
Du kriechst empor. Es macht sich.
Bei Donnerschlag und Wetterblitz
freut oben dich der Blätter Witz
vom Jahrgang achtundachtzig.

Nur Ehemänner wartend steh’n,
wenn aus dem Zuge startend wehn
Die Tüchlein, dienstbeflissen.
Ist erst die Frau, die zarte, weit,
wird man sich schon die Wartezeit
vergnügt zu kürzen wissen.
(zwischen 1928 und 1932)
 

Der Tischredner sagt
Mich stört’s, daß ich bei jeder Rede faste.
Zwar eil’ ich hier, wie auf dem Rade, feste.
Doch wenn ich spät, nach langer Fehde, raste,
bekomm ich meistens nichts als fade Reste.
(Zwischen 1928 und 1932)
 

Dem Witzbold ins Stammbuch
Willst du die Frau dir nur durch Scherze küren,
wird sich von dir bald jede Schürze kehren.
So wirst du nie der Liebe Kerze schüren,
mußt heimwärts dich allein in Kürze scheren.
(Zwischen 1928 und 1932)
 

Vor dem Weinlokal
Laßt uns zum tröstlich heitern Kummerhappen
in dieses Weinlokales Kammer huppen.
Wir lösen dort aus roten Hummerkappen
das zarte Fleisch mit spitzen Hammerkuppen.
(Zwischen 1928 und 1932)



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